Beim Malen setzt die New Yorkerin Amy Feldman Kopf und Körper ein. Ihre Bilder sind nicht so abstrakt-cool wie die ihrer männlichen Kollegen. Ein Atelierbesuch in der Grauzone der Malerei
Manchmal hat man nur eine dunkle Ahnung von den Dingen. Sie lassen sich nicht bestimmen oder sind schlicht unklar. Oft sind es gerade die Dinge, auf die es ankommt. Die englische Sprache hat dafür den Begriff „grey areas“. Man verwendet ihn, wenn man nicht mehr weiterweiß, wenn etwas verschwommen ist, rätselhaft oder halblegal. Die „Grauzone“ im Deutschen trifft es nicht ganz. Denn im Englischen schwingt immer etwas Verdrängtes mit, etwas Komisches oder Anzügliches.
Amy Feldman, 35, öffnet die Tür zu ihrem lichtdurchfluteten Wohnatelier im Stadtteil Red Hook von Brooklyn. Mit ihren lose zusammengesteckten Haaren sieht die Malerin in Daunenweste und grauen Jeans so aus, als würde sie lieber gleich weiterarbeiten wollen. An großformatigen abstrakten Bildern, die nicht nur deshalb jenen unbehaglichen Bereich der Ahnung verhandeln, weil sie beim Malen ausschließlich eine Palette von Grautönen benutzt.
Eine dünne Wand trennt die stilsicher eingerichteten Arbeits- und Wohnräume voneinander. Auch hier dominieren elegante Abstufungen von Grau. An den Wänden in der Küche hängen Bilder von Kollegen und Freunden, von Jonathan Laskers oder Laura Owens. An der Eingangstür klebt das Plakat, das Hillary Clinton nach einer langen Männerfotoreihe als 45. amerikanische Präsidentin ausruft. Wie mit jedem, dem man zurzeit in New York begegnet, reden auch wir zunächst über Politik, bevor wir uns der Kunst zuwenden.
Der hervorstechende Aspekt von Feldmans Bildern sind die bauchigen, knollenförmigen Formen, die einem mit Wucht entgegentreten. Es sind Formen, die in der Kunstgeschichte nicht selten als „weiblich“ codiert wurden, was immer das zu bedeuten hatte. Mal sind sie zu biomorphen Girlanden angereiht, mal nachlässig in einem geometrischen Raster angeordnet. Sie sind flächig auf die Leinwand gemalt oder treten ex negativo hervor, zuweilen sind auch nur Umrisse zu erkennen. Die satten Grauschattierungen mischt Feldman nicht aus Weiß und Schwarz zusammen, sondern aus verschiedenen Farben. Spritzer, Flecken und Leerstellen brechen die Strenge der Motive auf.
Auf den ersten Blick strahlen die Bilder eine fast patzige Leichtigkeit aus. Je länger man sich ihnen aussetzt, desto stärker spürt man die Spannung, die in ihnen drückt und zieht und diese Ikonografie so sehr auflädt, dass sie fast zu platzen droht. Sie haben etwas von Cartoons, erinnern an versteckte Körperteile und -funktionen und verweisen zugleich auf die quasi-sakrale Ernsthaftigkeit der etablierten abstrakten Malerei.
Die Bilder sind wild, aber auch zurückgenommen, humorvoll und dennoch psychologisch aufgeladen, vom Geist einer schnodderigen Rebellion geprägt, aber gleichzeitig auch von großem Optimismus. „Meine Bilder“, sagt sie, „sind hoffentlich irgendwo zwischen Widerspruch und Möglichkeit angesiedelt. Ich finde es wichtig, dass man in ihnen immer auch eine Haltung inneren Widerstands spürt.“
Feldman hat ihr Atelier über einer alten Garage eingerichtet. Sie ist vor vier Jahren hergezogen, nach Stationen in Rhode Island, Maine und Manhattan. Sie stammt aus dem Bundesstaat New York und machte als Schülerin Führungen durch das Museum Dia:Beacon, sog die Sprache der Hochmoderne und Abstraktion in sich auf. Red Hook, wo heute viele Künstler wohnen, war traditionell ein Hafen- und Industriegebiet, dazwischen verstreute Wohnhäuser. Am Horizont erkennt man die Skyline von Manhattan; der Atlantik ist nicht weit, Park Slope, ein Epizentrum der brooklynisierten Welt, aber auch nicht. Man hat das Gefühl, in New York zu sein und auf dem Land, nah am Leben, aber auch abgeschottet – in einer Umgebung, in der man konzentriert arbeiten kann.
Genau diese Konzentration ist für Amy Feldman essenziell, denn fast genauso wichtig wie die Gemälde ist der Malprozess, der zu ihnen führt. Feldman zeichnet mit einem Filzstift so lange Skizzen, bis sie für sie stimmen. Wenn sie eine Form gefunden hat, malt sie in einer physischen wie psychischen Performance. Die Bilder bekommen Titel wie „Mondstimmung“, „Kaltes Kribbeln“ oder „Großer Schweißausbruch“.
„Wenn ich an eine neue Leinwand herantrete“, erzählt sie, „fühle ich eine Mischung aus Aufregung und Angst.“ Sie stecke ihr ganzes Selbst und alles, was sie wisse, ins Malen. „So treten Dinge hervor“, sagt sie, „die mir vertraut und gleichzeitig völlig fremd sind.“ Die Bilder versteht Feldman als Fortführungen ihres Körpers, als Produkte eines Moments. Sie erlaubt sich keine Korrekturen, keine Nachbearbeitungen.
Aus der Welle der jungen abstraktenMaler, die in den vergangenen Jahren über den Kunstmarkt geschwappt ist, sticht Feldman hervor. Obwohl sie als einzige Frau in der Diskussion um jenen „Zombie-Formalismus“ auftauchte, ist sie kein Liebling der Art-Flipper. Ihre Arbeiten könnten sich von der Leere und dem coolen Nihilismus von Malern wie Jacob Kassay oder Lucien Smith auch kaum deutlicher unterscheiden.
Sie hat viel Erfolg damit. Nach ihrer Malerausbildung und einigen Stipendien ist sie nun sehr präsent als Künstlerin – zurzeit in der viel besprochenen Schau „Riot Grrrls“ im Museum of Contemporary Art in Chicago und in der Galerie Blain Southern in Berlin. Ihre Bilder sind nicht nur aufrührerischer als die der Boyband-Zombies, sondern auch kunsthistorisch geerdet. Echos von Robert Ryman, Philip Guston und Christopher Wool hallen hindurch, ihre wahren Vorbilder aber sind die radikalen Heldinnen der Abstraktion: Helen Frankenthaler und Agnes Martin, Mary Heilmann und Joyce Pensato.
Immer wieder kommen wir auf das Unbehagen zu sprechen, das man beim Sehen einiger ihrer Bilder empfindet – ein Schlüsselbegriff für die Knollen und aufgeblasenen Bäuche in Feldmans Werk. „Meine Bilder gehen einen zeitgenössischen Widerwillen an“, sagt sie zum Ende unseres Treffens, „ein Unbehagen mit der weiblichen Form – und zwar auf eine Weise, die man ‚macho‘ nennen könnte.“ Auch außerhalb des Ateliers nimmt Feldman diese Haltung ein. Es ist selbstverständlich für sie geworden, an den Demonstrationen gegen die neue amerikanische Regierung teilzunehmen, die in New York stattfinden. Ob man abstrakte Kunst in den Dienst eines gesellschaftlichen Anliegens stellen kann? Dazu entzieht sie sich zu schnell, liegt zu sehr in den Augen des Betrachters. Aber den Versuch, ist es Amy Feldman wert.